Steigende Zahl an Workaholics in Dubai und den VAE
von Myriam AlexowitzNicht nur in Japan, den USA und Europa ist Arbeitssucht ein Problem. Nun haben die Schattenseiten der Leistungsgesellschaft auch in den VAE Einzug gehalten. In Form von steigenden Scheidungsraten, zerbrechenden Freundschaften und Burn-out-Syndrom.
Arbeitssucht wird auch in Dubai zum Problem
Unsere Leistungsgesellschaft definiert sich auf der Basis der Arbeit. Wer viel arbeitet, ist wichtig, genießt hohes Ansehen und macht Karriere. Arbeit nimmt einen immer höheren Stellenwert ein. Sie gilt als Lebenssinn und Sprungbrett zur persönlichen Selbstverwirklichung. Viele Leute lieben ihren Job und es macht ihnen Spaß, viel zu arbeiten. Sie betrachten ihre Arbeit als Lebensbereicherung und eine Möglichkeit Geld zu verdienen. Sie haben Hobbies und unterhalten Freundschaften und soziale Kontakte. Ihr Leben ist ausbalanciert.
Ab wann beginnt nun die Arbeitssucht? Was unterscheidet einen „Vielarbeiter“ von einem echten Workaholic?
In vielen Firmen der VAE ist ein tägliches Arbeitspensum von 10 bis 14 Stunden völlig normal. Vielarbeit darf keinesfalls mit Arbeitssucht gleichgesetzt werden. Der Prozess der Arbeitssucht beginnt wie die meisten anderen Süchte schleichend. „Workaholism“ kann jeden treffen. Den Begriff “Workaholic” prägte 1971 der amerikanische Psychologe Wayne Edward Oates, an Anlehnung an das Suchtverhalten von Alkoholikern. Die Gründe die zur Arbeitssucht führen sind recht unterschiedlich.
Dr. N.K. Dhar, Psychiater am Jumeirah Prime Medical Centre Dubai sagt, dass viele so genannte Workaholics versuchen, in Dubai eine Menge Geld zu verdienen. Sie wollen der Familie einen gehobenen Lebensstandard bieten und den Kindern eine gute Ausbildung. Einige Firmen bieten für Überstunden einen Prämienlohn. An diese Leute werden hohe Anforderungen gestellt und sie nehmen sich selten frei.
Es gibt aber auch arbeitssüchtige Chefs, die von ihren Mitarbeitern einen ähnlich halsbrecherischen Arbeitsstil verlangen. Oft sind sie autoritär und chaotisch in der Arbeitsorganisation. Beim gemeinsamen Essen erteilen sie oft beiläufig einen Auftrag, ohne dass jemand sich genaue Notizen machen kann. Oder verschiedene Kollegen arbeiten an ein-und demselben Projekt, ohne voneinander zu wissen. Obwohl oft eigentlich vorher genügend Zeit für alles wäre, arbeiten die meisten dann zu guter letzt auf Termindruck.
Der Konkurrenzkampf ist groß, viele Menschen arbeiten hart aus Angst, ihren Job zu verlieren. Manche werden laut Dr. N.K. Dhar auch zu Workaholics, weil sie eigentlich inkompetent sind. Sie überschätzen ihre berufliche Qualifikation und damit ihre Fähigkeiten. Sie sind dann getrieben von einem bisweilen blinden Ehrgeiz. Sie brauchen das Gefühl durch Leistung und Anpassung geliebt und geschätzt zu werden.
Besonders gefährdet sind Menschen, die ein überdurchschnittliches Verantwortungsgefühl haben und meinen, alles selbst und tausendprozentig perfekt machen zu müssen. Viele der Workaholics wurden in ihrer Kindheit von einem arbeitssüchtigen Familienklima geprägt und ständig zu Höchstleistungen angespornt. Hier wurde der Grundstein für die Tendenz zur Arbeitssucht gelegt. Die Psychologin Sailaja Menon vom Dubai Community Health Centre meint, das die Betroffenen erst meist dann bemerken das etwas mit ihnen nicht stimmt, wenn die Unterstützung ihres sozialen Umfelds zusammenbricht. Die Scheidungsrate bei Emiratis als auch Expats ist in den letzten Jahren in die Höhe geschossen.
Das Fatale ist, dass das Wort „Workaholic“ in der Leistungsgesellschaft positiv besetzt ist. Stolz brüsten sich viele von ihnen damit ein „Workaholic“ zu sein. Leute, die stetig und viele Überstunden machen, werden in unserer Gesellschaft gut angesehen und vom Arbeitgeber belohnt. Das macht es besonders schwer, die eigentliche dahinterstehende Sucht zu erkennen und aus dem Teufelskreislauf auszubrechen. Ein Workaholic glaubt nicht das Überarbeiten ein Problem sei. Die damit verbundenen negativen Aspekte werden selten kritisch hinterfragt, sondern noch bagatellisiert. Nach außen hinhalten Arbeitssüchtige das Bild des aktiven, optimistischen Kämpfers aufrecht, der alles im Griff hat und keine Probleme kennt. Wenn dann doch soziale, familiäre und körperliche Probleme zunehmen, flüchten sie sich in noch mehr Arbeit. So lange sie etwas tun, müssen sie sich nicht mit belastenden Gefühlen auseinandersetzen.
Der Verlauf der Krankheit wird von den Psychologen in vier Phasen unterteilt:
Am Beginn der ersten Phase, nimmt die Arbeit den Workaholic mehr und mehr ein. Selbst in seiner Freizeit kreisen seine Gedanken stets um seinen Job. Private Interessen und eigene Bedürfnisse werden zunehmend vernachlässigt. Partner, Kinder und Freunde kommen oftmals zu kurz.
In der zweiten Phase wird die Lage bereits kritischer. Der Süchtige beginnt nach Ausreden für seinen übertriebenen Arbeitseifer zu suchen. Selbst in der Freizeit wird meistüber ihre Arbeit gesprochen. Alle privaten Bereiche werden der Arbeit untergeordnet. Typisch ist, dass sich viele Arbeitssüchtige selbst bei schwerer Erkrankung nicht krankschreiben lassen wollen bzw. noch im Krankenbett wieder zu arbeiten beginnen. Im Urlaub oder beim Stelldichein im Bett lassen sie ihr Handy klingeln, da sie arbeitstechnisch immer erreichbar sein wollen. Die Unfähigkeit zu entspannen, einfach Spaß zu haben oder etwas zu genießen, ist das deutlichste Zeichen eines gestörten Verhältnisses zur Arbeit. Selbst ein Hobby kann gar nicht mehr um seiner selbst genossen werden. Die Lebensfreude geht zunehmend verloren.
In der dritten nun chronischen Phase übernimmt der Workaholic immer mehr Aufgaben und hält sich dabei für die perfekte Person. Er hängt an seiner rastlosen Beschäftigung wie ein Alkoholiker an der Flasche. Ähnlich wie Alkoholiker entwickeln auch Workaholics, sobald eine Gewöhnung an die tägliche Dosis eintritt, das unbändige Verlangen nach einer Dosiserhöhung, um „high“ zu bleiben. Der euphorisierende Zustand kann allerdings nur durch noch mehr Schufterei erreicht werden. Ansonsten drohen Entzugserscheinungen wie Lustlosigkeit, Müdigkeit und Depression. Auf der Körperebene steht der Arbeitssüchtige unter Dauerstress. Ihr Körper produziert stetig Adrenalin, Dopamin und Endorphine, die auf Herz, Kreislauf und Zentralnervensystem stimulierend wirken. Von diesem berauschenden Kick bekommt der Süchtige nicht genug, weshalb er sich täglich aufs neue und immer mehr in den Arbeitsstreß wirft. Der Arbeitssüchtige kennt nur noch einen wahren Lebensinhalt, seine Arbeit. Alles um Ihn herum ist auf Arbeit hin ausgelegt. Das gesamte Privatleben für den Süchtigen hat keine Bedeutung mehr. Ehen zerbrechen und was bleibt ist die soziale Isolation. Ihre sozialen Kontakte beschränken die Workaholiker meist nur noch auf Kundengespräche. In dieser Phase zeigen sich die ersten körperlichen Beschwerden wie Magengeschwüre, Migräne, Bluthochdruck, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme und Angstzustände. Die Ärzte behandeln die Erschöpfungssymptome, finden aber oft nicht die wahren Ursachen heraus. Die Alarmsignale werden dann wiederum mit Medikamenten und Leistungsmaximierung kompensiert.
In der Endphase treten massiven Einschränkung in der Leistungsfähigkeit sowie ernsthafte krankhafte Folgeerscheinungen auf. Mit Herzinfarkt, Schlaganfall, schwere Depressionen und Burn-out-Syndrom. Workaholics gehen oft schon Mitte 50 in Rente. Wird die Krankheit nicht rechtzeitig behandelt, kann sie sogar zum Tode führen.
In Japan lautet die Diagnose bei Tod durch Überarbeitung „Karoshi“. 1990 hat das japanische Arbeitsministerium bestätigt, dass Arbeitssucht zum Tod führen kann. Japan hat bereits über 350 Behandlungszentren für Arbeitssüchtige eingerichtet. Selbst in der psychosomatischen Klinik, wo sich die Patienten bewusst werden sollen, was hinter ihrer exzessiven Plackerei steckt, gieren die Workaholics anfangs noch weiter nach ihrer gewohnten Droge. Am liebsten würden sie von morgens bis abends Therapie machen und ununterbrochen an sich arbeiten. Jährlich sterben in Japan schätzungsweise 20.000 Menschen an „Karoshi“.
Dass man in anderen Ländern bislang noch keinen treffenden Fachausdruck gefunden hat, läßt auf ein mangelndes gesellschaftliches Problembewußtsein hinsichtlich der Arbeitssucht schließen.
Arbeiten wir um zu leben oder leben wir um zu arbeiten? Diese Frage sollte sich jeder einmal bewußt stellen. Wenn wir beginnen, uns ausschließlich über die Arbeit zu definieren, bzw. unsere Daseinsberechtigung allein über unser Engagement im Job abzuleiten, bekommt die Arbeit in unserem Leben einen krankhaften Charakter. Spätestens hier sollten die Alarmglocken klingeln.
Und was die Firma angeht. Letztlich schadet sich die Firma mit der Förderung und Belohnung von „Workhaholikern“ langfristig selbst: Fehlerquellen und Unzufriedenheit nehmen zu, Leistung und Produktivität ab. Die Rechnung geht nicht auf.
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